Alles auf Zucker

Umgerechnet 33 Stück Würfelzucker verdrückt der Durchschnittsdeutsche täglich. Das liegt nicht nur an Süßigkeiten, sondern auch an Fertigprodukten und Getränken, in denen oft Zucker versteckt ist. Nicht nur die Deutsche Diabetes Gesellschaft fordert klare Maßnahmen von der Politik und plädiert für die Einführung einer Zuckersteuer.

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Mehr als die Hälfte der Deutschen ist übergewichtig. Jeder Zweite von ihnen, so heißt es im 12. Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), ist fettleibig oder adipös. Bis 2030 könnte die Zahl der fettleibigen über 50-Jährigen auf bis zu 80 Prozent ansteigen, so eine Statistik des Rostocker Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR).

Zucker spielt dabei eine wesentliche Rolle, hierzulande ist er fast schon ein Hauptnahrungsmittel. Rund 20 Prozent der täglichen Energiezufuhr deckt der Durchschnittsdeutsche durch freien Zucker. Umgerechnet sind das fast 100 Gramm – eben 33 Stück Würfelzucker. Nach Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte es höchstens die Hälfte sein. Noch in diesem Jahr will die WHO eine neue Leitlinie mit noch niedrigeren Werten vorstellen.

Süßigkeiten sind nicht immer die Schuldigen

Der hohe Zuckerkonsum in Deutschland ist aber nicht nur der Lust auf Kuchen, Eis oder Schokolade geschuldet. Oft sind es Produkte, in denen man eigentlich keinen Zucker erwarten würde: So sind selbst herzhafte Speisen wie Fertigpizzen oder Suppen, aber auch „unverdächtige“ Saft-Getränke oft gesüßt. Sogar ernährungsbewusste Zeitgenossen greifen da schon mal daneben. (Artikel: Natürliche Süße)

Zucker sind Kohlenhydrate

Der in einzelnen Produkten enthaltene einfache Zucker fällt hingegen oft nicht auf, da viele Nährwerttabellen nur Angaben zu den Kohlenhydraten insgesamt enthalten. Neben Stärke können Kohlenhydrate allerdings auch große Anteile an Zucker enthalten – diese werden in den Tabellen nur selten genannt. Verpflichtend wird die Kennzeichnung (Gesamtheit der Mono- und Disaccharide) erst mit Einführung der Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) im Jahr 2016.

Beispielsweise ist der Anteil an Zucker im vermeintlich gesunden Fruchtjoghurt mit durchschnittlich 14 Prozent fast doppelt so hoch wie der von Früchten (8 Prozent). Bio-Produkte sind oft nicht besser. Einige Hersteller geben nicht einmal an, wie viel Zucker genau im Becher steckt. Auch handelsübliche Sojamilch kann bis zu 3,3 Prozent Zucker enthalten. Passend dazu sind viele Cerealien – gerade die bei Kindern beliebten Produkte – tatsächlich eher Süßigkeiten als ausgewogenes Frühstück: Sie enthalten bis zu 37 Prozent Zucker! Da können selbst viele Schokokekse nicht mithalten.

Die gemeinnützige Organisation Foodwatch hat bereits im Juli 2012 eine E-Mail-Aktion gegen den Lebensmittelkonzern Nestlé gestartet, die bis heute andauert. Nestlé soll, so die Forderung, den Zuckeranteil ihrer speziell für Kinder hergestellten Cerealien von durchschnittlich 30 auf 10 Prozent reduzieren. Mehr als 37.000 Verbraucher haben bislang unterschrieben. Der Konzern hat angekündigt, den Zuckeranteil auf 28 Prozent zu senken, doch auch das liegt noch auf dem Niveau vieler Kuchen und Torten.

Zwischen Lebensmittel-Ampel und Zucker-Steuer

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert deshalb schon seit Jahren die Einführung der Lebensmittel-Ampel, eine einfache Rot-Gelb-Grün-Kennzeichnung, die jedem Verbraucher sofort zeigt, wie viele Dickmacher im Produkt stecken. “Damit bündelt die Ampel die Informationen zu Zucker, Fett und Salz, so dass jeder sie auf einen Blick versteht”, sagt Sophie Herr, Leiterin des Teams “Lebensmittel” der vzbv.

Die Bundesregierung lehnt das bislang ab. Die Ampel erleichtere dem Verbraucher nicht die Orientierung, sagt Christian Fronczak, Pressereferent des zuständigen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). So würde eine Limonade “light” ein Grün erhalten, ein Bio-Apfelsaft hingegen ein Rot – und zwar nur wegen des Fruchtzuckers. Außerdem sei die Ampel “aus wissenschaftlicher Sicht wenig seriös und zur Einschätzung von Nährwerten ungeeignet.” Wo fange denn ein Rot an und wo höre ein Grün auf? Was also bleibt, ist der mühsame Blick ins Kleingedruckte.

Apfelschorle fast so süß wie Cola

Eine durchschnittliche Halbliterflasche Apfelsaftschorle enthält zwischen 24 und 33 Gramm Zucker. Das entspricht einer Menge von 8 bis 11 Stück Würfelzucker. Gemessen an einer gleich großen und als “Zuckerkonzentrat” verrufenen Coca Cola mit umgerechnet 16,7 Stück ein überraschend hoher Wert.

Finnland und seit kurzem auch Mexiko zielen im Kampf gegen Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf die Brieftasche des Verbrauchers ab: Für besonders fettige und zuckerhaltige Lebensmittel wird eine satte Steuer fällig. Auch in Frankreich gibt es seit 2012 eine spezielle Steuer auf Getränke, die mit besonders viel Zucker angereichert sind. Eine 1,5-Liter-Cola-Flache könne somit bis zu elf Cent teurer werden. Verbraucherschützer und die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) fordern das auch hierzulande.

Man könne zwar “darüber streiten, ob eine solche Steuer die dringlichste Maßnahme zur Bekämpfung von Übergewicht und Diabetes ist”, so der Geschäftsführer der DDG, Dr. Dietrich Garlichs. Die Erfahrungen mit der Besteuerung von Zigaretten und Alcopops zeige jedoch, “dass es sich um eine effektive Maßnahme handelt.”

Die Ansätze sind da, die Politik bleibt stur

Im Gegenzug zu den Aufschlägen bei verarbeiteten Lebensmitteln mit hohem Fett-, Zucker- und Salzanteil schlägt die DDG vor, gesunde Lebensmittel steuerlich entsprechend zu entlasten und damit billiger zu machen. Auf diese Weise würden die Nahrungsmittel für den Verbraucher insgesamt nicht teurer, der Anreiz zur gesunden Ernährung aber erhöht.

Doch auch hier blockt die Politik ab. Zusätzliche Steuern änderten nichts am Essverhalten, heißt es dazu aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Pressereferent Christian Fronczak: “Eine politische Steuerung des Konsums und Bevormundung der Verbraucher durch Werbeverbote oder Strafsteuern lehnt die Bundesregierung ab.”