Hauptsache viel Gemüse? Ganz wenig Butter? Vegan? Was denn nun gesunde Ernährung ausmacht, darüber gehen die Auffassungen manchmal auseinander. Das zeigt eine Kontroverse um das richtige Maß beim Fett.
Morgens zwei Esslöffel Leinöl in den Quark und einen Esslöffel Butter in den Kaffee (ja, wirklich). Mittags „mindestens zwei bis drei“ Esslöffel extra natives Olivenöl über den Salat – und auch bei einer leichten Abendmahlzeit sollen Olivenöl, Butter oder Kokosfett nicht fehlen. So liest sich das, wenn die aus dem Fernsehen bekannte Ärztin Anne Fleck („Die Ernährungs-Docs“ NDR) in einem aktuellen Buch empfiehlt, „gesund und fettbetont“ zu essen.
Gesund und gleichzeitig fettig? Für Gesundheits- und Figurbewusste, die bisher sparsam mit Öl und Butter umgehen, dürfte das sehr ungewohnt klingen. Tatsächlich hätte man beim Befolgen von Flecks Ratschlägen mengenmäßig schnell die Orientierungswerte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zur täglichen Aufnahme von Fetten und Ölen überschritten. Diese bilden in der DGE-Orientierungshilfe „für eine gesundheitsfördernde Lebensmittelauswahl“ den kleinsten Anteil aller Lebensmittelgruppen.
Aus vielen Studien lassen sich keine Schlussfolgerungen ziehen
Das Beispiel ist eines von vielen, das zeigt, wie die Auffassungen beim Thema Ernährung auseinandergehen. Das ideale Verhältnis von Fetten und Kohlenhydraten auf dem Speiseplan wird in der Fachwelt seit einiger Zeit diskutiert. Auch, weil vor etwa anderthalb Jahren eine große Studie in der Fachzeitschrift „The Lancet“ eine fettreiche Ernährung mit gesundheitlichen Vorteilen in Verbindung brachte – für manche Grund genug, bisherige Empfehlungen in Frage zu stellen und den Ruf von Butter und Co. zu rehabilitieren. Experten der DGE bezeichneten die Aussagekraft der Studie jedoch wegen methodischer Mängel als stark eingeschränkt.
Nun schwärmt dennoch auch Ärztin Fleck auf mehr als 400 Seiten ihres Buches „Ran an das Fett“ von gesunden Fetten – Achtung: Snacks aus der Fritteuse etwa gehören nicht dazu, selbst zwischen Pflanzenölen sieht sie enorme Unterschiede. In jedem Fall aber stehe das generelle“Fettarm-Dogma“ auf einer äußerst dünnen Datengrundlage, meint Fleck.
Zum Heilsbringer wurde die Fettreduktion allein bekanntlich auch nicht: Obwohl der Fettanteil in der Nahrung von US-Amerikanern im Schnitt seit den 1970er Jahren von 42 auf 34 Prozent gesunken sei, verbreiten sich bei ihnen Übergewicht und Diabetes, wie US-Ernährungsforscher kürzlich im Journal „Science“ berichteten. Bei dieser Entwicklung spielen weitere Faktoren, die sich seitdem geändert haben, eine Rolle wie etwa Portionsgrößen, Essverhalten, Lebensstil. David Ludwig (Boston Children’s Hospital) und Kollegen weisen in ihrer Studie unter dem Titel „Nahrungsfett: vom Feind zum Freund?“ auf die Problematik vieler Untersuchungen ihrer Fachrichtung hin: Oft seien sie zu kurz und zu klein gewesen, um aussagekräftig zu sein.
Sogenannte Beobachtungsstudien etwa weisen das Problem auf, dass man aus ihnen keine Schlussfolgerungen wie „Dieses Lebensmittel macht schlank“ ziehen kann. Anhand von Protokollen über die Ernährung und gesundheitliche Entwicklung von Probanden können Forscher lediglich vielleicht zufällige Wechselwirkungen erkennen, nicht aber Ursache und Wirkung. Trotzdem werden aus solchen Studien manchmal Tipps abgeleitet, etwa zum Abnehmen.
Wer nach solchen allgemeingültigen Ratschlägen sucht, für den muss das Fazit der „Science“-Autoren einer Bankrotterklärung gleichen: Aktuelle Belege deuteten darauf hin, „dass kein spezifisches Kohlenhydrat-Fett-Verhältnis in der Ernährung für die allgemeine Bevölkerung am besten ist“, heißt es. Auch hätten nicht alle Diäten und Kalorienquellen ähnliche Stoffwechsel-Wirkungen bei allen Menschen. Um den Einfluss von Nahrungsmitteln auf die Gesundheit zu bewerten, sei mehr nötig als nur ein Blick auf die Mengenverhältnisse von Kohlenhydraten, Eiweiß und Fett, schreiben die Forscher. Und nennen unter anderem Faktoren wie die Qualität der Lebensmittel, ihre Kombination und die Gene.
Bewegung schlägt Ernährung
„Wichtiger als die Diskussion über die richtigen Anteile von Fett und Kohlenhydraten sind die Aspekte hohe Energiezufuhr insgesamt und Qualität der Fette und Kohlenhydrate“, sagt auch DGE-Referentin Silke Restemeyer. Verzehrt würden oftmals zu wenig ballaststoffreiche Nahrungsmittel wie Vollkorn, Hülsenfrüchte, Gemüse und Obst – aber zu viele einfache Kohlenhydrate in Form von zugesetzten Zuckern (etwa in Fruchtjoghurt und Erfrischungsgetränken) und raffinierter Stärke (etwa in Weißbrot, Kartoffelchips und Kuchen). Es sei sinnvoll, außerdem auf das gesamte Ernährungsmuster zu achten, sagt die Ernährungswissenschaftlerin.
Extreme Formen, wie sehr kohlenhydratreiche oder sehr kohlenhydratarme Ernährung, schienen ungünstig zu sein in Hinblick auf die Sterblichkeit, sagt der Epidemiologe Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) Potsdam.
Was bleibt also? Versteckte Fette aus Produkten wie Wurst, Süßwaren, Fertigprodukten und Fast Food seien zu vermeiden, betont Restemeyer. Die empfohlenen pflanzlichen Öle lieferten lebensnotwendige Fettsäuren und Vitamin E, hätten aber wie alle Fette eine hohe Kalorienanzahl. Wer sich insgesamt ausgewogen ernähre und viel bewege, müsse sich um die tägliche Kalorienaufnahme aber keine großen Gedanken machen, so Restemeyer.
Von Gisela Gross (dpa)