Neue App soll Amputationen verhindern

Sohle

© mediXmind GmbH

Jedes Jahr werden in Deutschland mehrere Tausend Amputationen durchgeführt. Gerade bei Menschen mit Diabetes wären viele der Eingriffe jedoch vermeidbar. Mediziner der Universitätsklinik Magdeburg haben jetzt eine neue intelligente Schuheinlage entwickelt. Per Smartphone soll sie die Betroffenen vor Entzündungen warnen und unnötige Amputationen verhindern.

62.000 Amputationen werden in Deutschland pro Jahr durchgeführt. Rund zwei Drittel der Eingriffe entfallen auf Menschen mit fortgeschrittenem Diabetes. Amputiert werden zumeist Ober- und Unterschenkel sowie Füße oder Zehen. Dabei wären rund 60 Prozent dieser Amputationen durch gezieltere Vorsorge zu vermeiden, schätzt Prof. Dr. Mertens, Direktor der Universitätsklinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Diabetologie und Endokrinologie in Magdeburg. Zusammen mit den Firmen Orthofit Schuhtechnik und Ifak System haben er und sein Team jetzt eine neue intelligente Schuheinlage entwickelt. Sie soll Betroffene vor potenziell auftretenden Entzündungen warnen, die Ausbildung von Druckgeschwüren verhindern und weitere unnötige Amputationen vermeiden helfen – und das alles via Smartphone.

Gestörte Nervenbahnen

Das Problem, das viele Menschen mit fortgeschrittenem Diabetes haben: Ihr jahrelang erhöhter Blutzuckerspiegel stört die peripheren Nervenbahnen. Druckbelastungen, kleine Verletzungen oder auch sich ankündigende Entzündungen nehmen sie oft nicht mehr wahr. Viele sind zudem mit einer schlechten Wundheilung konfrontiert. Vermeintlich unbedenkliche Wunden und Entzündungen, vor allem an den Füßen, können sich so leicht zu chronischen, schlecht heilenden Druckgeschwüren auswachsen. Bleiben diese dann unbemerkt und werden nicht entsprechend versorgt, kann es im schlimmsten Fall zur Amputation kommen.

Prototyp © mediXmind GmbH

Prototyp © mediXmind GmbH

Füße

Durch die Schädigung der Nerven und eventuell auch der Blutgefäße sind die Druckstellen am Fuß, vor allem an Ferse und Fußballen, besonders gefährdet. Die Füße fühlen sich zwar warm an und haben eine rosige Farbe, werden jedoch nur unzureichend mit Sauerstoff versorgt. Kleine, unbemerkte Verletzungen können sich so zum Geschwür ausweiten. So besteht das Risiko einer bakteriellen Infektion, die bis zum Knochen vordringen kann. Eine Amputation ist dann nur noch schwer zu vermeiden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bis heute werden Diabetiker mit Durchblutungsstörungen daher mit speziellen Weichpolstereinlagen versorgt. Sie sollen den Fuß schützen und eventuelle Verletzungen verhindern. Das Magdeburger Team hat einen anderen Weg genommen und eine neuartige Einlage entwickelt. Anstatt den Fuß zu polstern, soll sie den Träger warnen, sobald erste Druckbelastungen auftreten und potenzielle Entzündungen entdecken, bevor sie entstehen. „Mit unserer Einlage sollen die Betroffenen wieder lernen, ihren Fuß richtig zu belasten“, erklärt Prof. Mertens.

Temperaturanstieg warnt vor Entzündungen

Bei der Entwicklung der Einlegesohle stützten sich die Magdeburger auf Erkenntnisse aus den USA. Schon vor einigen Jahren hatten Forscher hier herausgefunden, dass regelmäßige Temperaturmessungen an den Füßen frühzeitig Hinweise auf potenzielle Entzündungen liefern können. Bereits sieben Tage bevor die Entzündung auffällig wurde stieg die Fußtemperatur der Betroffenen um durchschnittlich vier Grad an. Wurden die Füße dann entsprechend entlastet, ging die Entzündung zurück und die Entstehung von Druckgeschwüren konnte vermieden werden.

Ampel-App

Diese Erkenntnisse haben Mertens und sein Team nun auf ihre Diabetiker-Einlage übertragen. Die gefährdeten Fußregionen der Sohle haben sie mit entsprechenden Sensoren ausgestattet. Temperaturanstieg wie Druckbelastungen können auf diese Weise exakt gemessen werden. Daraufhin werden sie von integrierten Computerchips analysiert und per App an das Smartphone des Trägers übermittelt.

In der Praxis funktioniere das System wie eine Straßenampel, erklärt Mertens. Grün signalisiere, alles ist in Ordnung. Gelb sei ein erster Hinweis, dass der Träger seine Belastung ändern sollte. Rot zeige an, wenn eine Entzündung droht und der Fuß vollständig entlastet werden sollte. Auf diese Weise würde der Fuß nicht nur geschützt, der Träger könne auch Stück für Stück wieder lernen, wie er Zehen und Füße zu bewegen hat. „Die Warnlampen sollen ihn wieder daran erinnern, auf seine Füße zu achten“, sagt Mertens.

© mediXmind GmbH

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Smarte Versorgung

Geplant sei, auch eine App für den behandelnden Arzt zu entwickeln. Das Temperaturprofil des Patienten bekäme er einfach auf sein Handy übermittelt. Bis zu einer Woche im Voraus könne die App ihn dann über eventuelle Entzündungen informieren und der Arzt hätte genügend Zeit, die entsprechende Behandlung einzuleiten, erzählt Mertens. „Das ist allerdings noch Zukunftsmusik.“

Die intelligente Einlagen-App ist hingegen schon sehr real. Bei bis zu 95 Prozent der Studienteilnehmer waren die ersten Tests erfolgreich. In den kommenden Monaten soll die Sohle an weiteren Probanden ausprobiert werden. Die Ergebnisse sind dann Anfang 2015 zu erwarten. „Läuft alles gut, ist die Einlage hoffentlich bald marktreif“, sagt Mertens. Etwas finanzielle Unterstützung wird noch benötigt, aber dann kann sie die Anzahl der heutigen Amputationen ja vielleicht wirklich um 60 Prozent reduzieren.

 

 

Ausführliche Informationen zur “intelligenten Einlegesohle” finden Sie bei Telemetrische Medizintechnik für eHealth und mHealth Anwendungen (medixmind), einem Projektpartner des Universitätsklinikum Magdeburg.