Zäher Schleim – Welche Therapie bei Mukoviszidose hilft

© ZB - Fotoreport

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Ein winziger Fehler am Erbgut mit schweren Folgen: Bei Mukoviszidose produziert der Körper durch einen Gendefekt zähen Schleim. Heilbar ist die tödliche Erkrankung nicht. Aber inzwischen behandelbar.

“Ihr Baby ist gesund” – das ist der Satz, auf den alle Eltern nach der Geburt ihres Kindes hoffen. Als der heute fast zweijährige Nalu auf die Welt kam, war ziemlich schnell klar, dass die Ärzte diesen Satz nicht sagen werden. Nalu hat Mukoviszidose. Sein Körper produziert zähen Schleim. Das beeinträchtigt unter anderem Atmung und Verdauung. Heilbar ist Mukoviszidose nicht.

Zwei Monate vor dem Geburtstermin bekam Marc Kamps Frau Komplikationen. “Wir fuhren ins Krankenhaus, die Ärzte waren sehr nervös, wir auch. Die Wehen setzten ein, und unser Sohn wurde per Kaiserschnitt geholt”, erzählt der 36-Jährige aus Hamburg. Der Bauch des Babys war aufgebläht, die Haut lila-blau angelaufen und der Darm verdreht. Die Ärzte entfernten ein Drittel des Darms. Nalu wurde zunächst über eine Sonde ernährt, nahm aber überhaupt nicht zu. “Man wusste noch nicht, was es ist.” Schließlich diagnostizierten die Ärzte Mukoviszidose. Die Bezeichnung kommt von den lateinischen Wörtern mucus für Schleim und viscidus für zäh.

Inhalieren gegen den Schleim

Der durch einen Gendefekt produzierte zähe Schleim verstopft und schädigt vor allem die Lunge, erklärt Kinderpneumologe Christoph Runge. Er führt in Hamburg mit Kollegen eine der Schwerpunktpraxen, die Kinder und Jugendliche mit Zystischer Fibrose (CF) – so die medizinische Bezeichnung – betreut. Aber auch andere Organe können betroffen sein. Etwa die Bauchspeicheldrüse: Auch diese produziert wegen des Gendefekts ein zäheres Sekret. Das verhindert, dass das Organ die für die Verdauung notwendigen Enzyme ausreichend bereitstellen kann. In Deutschland kommen jedes Jahr etwa 200 bis 250 Kinder mit Mukoviszidose zur Welt. Anzeichen sind chronischer Husten, starkes Untergewicht und Verdauungsprobleme. Die Krankheit ist nicht heil-, aber behandelbar.

“Wir machen mit Nalu eine tägliche Therapie, die sehr zeitintensiv ist”, sagt Kamps. Das bedeutet für den Zweijährigen: Dreimal täglich für je 20 Minuten inhalieren, Medikamente für die Bauchspeicheldrüse einnehmen, sehr kalorienaltiges Essen zu sich nehmen. Dazu ein- bis zweimal in der Woche Physiotherapie plus die Übungen zu Hause weitermachen, verschiedene Vitaminpräparate verabreicht bekommen und regelmäßig einen Abstrich machen lassen. So prüfen die Ärzte, ob Nalu einen für ihn gefährlichen Keim in den Atemwegen hat. Sein Vater ist optimistisch: “Es ist schön zu sehen, dass heute Leute mit Mukoviszidose über 50 werden.” Deshalb legt er auch großen Wert darauf, dass Nalu heute Tabletten einnimmt, heute inhaliert, damit es ihm später noch gut geht.

TV-Tipp

https://www.youtube.com/watch?v=nDxcAB9WjGw

Der Film “Und morgen Mittag bin ich tot” von Frederik Steiner erzählt die Geschichte der 22-jährigen Lea, gespielt von Liv Lisa Fries. Sie hat Mukoviszidose im Endstadium. Um ihr Leben bis zum Ende selbst zu bestimmen, reist sie in die Schweiz und will sich mit ärztlicher Hilfe das Leben nehmen. “Und morgen Mittag bin ich tot” wurde am 5. Juni 2015 auf Arte gezeigt und ist in der Mediathek des TV-Senders abrufbar.

Die Behandlung hat vor allem die Verflüssigung des Schleims und den dadurch möglichen Abtransport des Sekrets zum Ziel. Außerdem steht die Bakterienzusammensetzung in der Lunge bei der Behandlung im Fokus, erklärt Runge. Beides soll unter anderem durch die tägliche Inhalation – etwa von Salzlösung und Antibiotika – verbessert werden. Denn der festsitzende Schleim ist besonders anfällig für Keime und Bakterien und verursacht so Entzündungen. Ein weiterer wichtiger Baustein ist ein Enzympräparat, das die Verdauung von Fett ermöglicht und immer zum Essen verabreicht werden muss.

Eine neue App soll die Therapie unterstützen

Unverzichtbar ist Physiotherapie. Sie wird bei Mukoviszidose-Patienten von der Krankenkasse bezahlt. “Wir zeigen den Eltern zum Beispiel, wie sie zu Hause mit ihrem Kind inhalieren sollen”, sagt Physiotherapeutin Stefanie Ollig. Sie behandelt in einer Praxis in Aachen seit 16 Jahren Kinder mit Mukoviszidose. Außerdem macht sie Eltern von Säuglingen bewusst, wie Dehnlagen und Vibrationen am Brustkorb des Kindes helfen, den Schleim zu lösen. Älteren Kindern vermittelt sie spezielle Atemtechniken wie die autogene Drainage. “Damit wird der Schleim möglichst weit nach oben geatmet, um ihn dann kraftsparend abhusten zu können.” Die Physiotherapie soll auch Bewegungsfreude vermitteln. Denn Sport hilft, den Brustkorb beweglich zu halten und unterstützt den Transport des Sekrets in der Lunge.

Nichtsdestotrotz: “Mukoviszidose ist weiterhin eine bedrohliche Erkrankung”, sagt Runge. Auch wenn man sich strikt an die Therapie hält, planbar wird die Krankheit nicht. Bei Nalu wurden bei der Routineuntersuchung die als Problemkeime gefürchteten MRSA-Bakterien festgestellt. “Man geht unbeschwert zum Abstrich, und dann bricht die Welt zusammen”, erzählt Kamps. Diese Keime sind für Gesunde in der Regel ungefährlich, können aber bei Mukoviszidose-Patienten Infektionen verursachen, oder zu Blutvergiftungen und Lungenentzündungen führen. Übertragen wird der Keim per Hautkontakt – wenn man nicht aufpasst, kann er etwa in der Familie oder im Kindergarten immer wieder übertragen werden.

Das war vor allem für Nalus sechsjährige Schwester nicht einfach zu verstehen und einzuhalten. “Sie muss wegen der Krankheit ihres Bruders ohnehin schon mehr Verständnis aufbringen, als sie es mit sechs sollte”, sagt Kamps. Verwandte und Freunde haben für manche Vorsichtsmaßnahmen der Familie wenig Verständnis. Das war für Kamps Anlass, in Zusammenarbeit mit Frank Ahrens, Kinderpneumologe am Altonaer Kinderkrankenhaus, und dem Verein Mukoviszidose e.V. eine App für betroffene und interessierte Kinder zu entwickeln. Im Mittelpunkt steht “Patchie”, ein Außerirdischer, der Mukoviszidose hat. Die Nutzer übernehmen für “Patchie” die Verantwortung. Das soll das Verständnis für die Krankheit und das Verantwortungsbewusstsein der Betroffenen fördern. Fertig werden soll sie Anfang 2016.

Von Elena Zelle (dpa)