„Richtig eingesetzt kann teurer billiger sein“

Roland Frimmersdorf (li.) und Michael Scheller (re.) © Schwenninger Krankenkasse

Roland Frimmersdorf (li.) und Michael Scheller (re.) © Schwenninger Krankenkasse

Viele Menschen sind mit der Qualität der Hilfsmittelversorgung unzufrieden, das belegt eine repräsentative Umfrage der Schwenninger Krankenkasse. Wie mehr Transparenz helfen kann, das zu ändern, darüber sprachen wir mit dem Unternehmenssprecher Roland Frimmersdorf und Michael Scheller, Hilfsmittelexperte.

Redaktion: Laut Ihrer Studie hat nahezu jeder Zweite in Deutschland den Eindruck, dass Krankenkassen immer weniger Hilfsmittel bewilligen. Hat Sie das überrascht?

Roland Frimmersdorf: Mit diesem eindeutigen Votum: ja. Von unseren Versicherten habe ich solche Beschwerden bislang noch nicht gehört. Wir führen regelmäßig fundierte Kundenumfragen durch. So zuletzt zur Versorgung mit Inkontinenzprodukten, die aufgrund von Ausschreibungsverfahren der gesetzlichen Krankenkassen bekanntlich immer wieder im Zentrum der öffentlichen Kritik steht. Auch hier gab es keine nennenswerten Beschwerden unserer Versicherten. Wie das bei anderen Kassen ist, mag ich nicht beurteilen.

Sie fühlen sich also nicht angesprochen.

Frimmersdorf: Nein! Aber die Kritik nehmen wir natürlich trotzdem ernst. Und wir teilen sie in einem sehr wichtigen Punkt: Laut unserer Befragung ist für rund 70 Prozent der Bürger die Qualität der Hilfsmittel wichtiger als ihr Preis. Das ist auch unsere Ansicht. Qualität zahlt sich gerade in diesem Bereich auf jeden Fall aus.

Die Kosten für Hilfsmittelverordnungen steigen

Auch für Sie als Krankenkasse.

Scheller: Als Krankenkasse haben wir nichts davon, einem Versicherten, der beispielsweise eine spezielle Schaumstoffmatratze zur Dekubitusprophylaxe braucht, mit einem Lagerungssystem zu versorgen, das nach einigen Wochen bereits durchgelegen ist. Dann hat der Patient ein Druckgeschwür und wir als Kasse müssen nun nicht mehr nur die Hilfsmittel, sondern auch die Behandlung des Dekubitus zahlen. Von Anfang an auf Qualität zu setzen, ist eine Win-win-Situation für beide Seiten.

Das scheint ja nicht die übliche Sicht von Krankenkassen zu sein. Sonst hätte der Gesetzgeber im neuen Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz nicht regeln müssen, dass bei Ausschreibungen auch die Qualität von Produkten und Dienstleistungen zu berücksichtigen ist – und nicht nur der Preis.

Frimmersdorf: Wir bemängeln bereits seit Jahren, dass in Ausschreibungsverfahren oft nur der Preis das ausschlaggebende Kriterium ist. Die qualitativen Anforderungen an Produkte spielen oft eine untergeordnete Rolle. Deshalb begrüßen wir die Reform der Hilfsmittelversorgung. Viele der geplanten Verbesserungen haben wir in unseren Verträgen mit Leistungserbringern bereits vorweggenommen, gerade die qualitativen Aspekte.

Scheller: Die Situation ist für uns Kassen aber auch nicht einfach. Die Zahl der Verordnungen und somit auch die Kosten steigen Jahr für Jahr. Die Ursachen hierfür sind der demografische Wandel, aber auch die vielfältigen neuen technischen Möglichkeiten. Beispielsweise kommen immer wieder Hilfsmittel auf den Markt, die zwar sehr teuer sind, deren Nutzen wissenschaftlich aber noch nicht ausreichend belegt ist.

„Vertrauen gewinnt man durch Transparenz“

Haben Sie ein Beispiel?

Scheller: Nehmen wir die neuen computergesteuerten Orthesen, mit denen Querschnittgelähmte wieder eigenständig gehen können. Die Kosten für solche Stützroboter sind horrend. Ob und welchem Patienten das Hilfsmittel im Alltag tatsächlich einen messbaren Vorteil bringt, oder ob insgesamt nicht sogar die Verletzungsgefahr steigt, wurde unserer Ansicht nach bislang noch nicht ausreichend untersucht.

Haben Sie bereits Ideen entwickelt, wie Sie die Qualität der Versorgung in Zukunft bewerten wollen?

Scheller: Indem wir unsere Versicherten direkt fragen. Hierfür wollen wir eine Online-Plattform einrichten, auf der unsere Versicherten die Hilfsmittelversorgung direkt bewerten können. Konkret geht es um die Versorgungsqualität und den Service unserer Vertragspartner, aber natürlich auch um die Qualität der eingesetzten Hilfsmittel.

Frimmersdorf: Wichtig ist, dass die Versicherten der Qualität unserer Versorgung vertrauen – und das erreicht man am besten durch Transparenz. Zukünftig sollen deshalb auch die wesentlichen Inhalte unserer Hilfsmittelverträge für alle Versicherten online einsehbar sein.