„Die Rezepte sprudelten nur so heraus“

© Caro Hoene

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Jörg Reuter und Manuela Rehn haben Altenheime besucht, zusammen mit den Bewohnern am Herd gestanden und Rezepte gesammelt. Entstanden ist daraus ein liebevoll gestaltetes Kochbuch. Manuela Rehn erzählt uns, was das Kochen mit den Menschen gemacht hat.

Was ist ein Ofenschlupfer?

Ein Auflauf aus altem Brot, süß-sauren Äpfeln und Butter. Die perfekte Resteverwertung. Am besten schmeckt er warm mit einem ordentlichen Schuss Vanillesauce.

Gesund klingt das nicht …

Aber lecker. Und darum ging es. Durch das gemeinsame Kochen wollten wir die Bewohner der Altenheime aktivieren. Gerade für ältere Menschen bedeutet Essen auch ein Stück Heimat. Das Bekannte weckt Erinnerungen und vitalisiert.

Mit den Damen am Herd

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir unsere Damen aus Barrien, einem kleinen Ort in der Nähe von Bremen. Im Heimalltag redeten sie kaum miteinander. Als wir dann zusammen überlegten, was wir kochen wollen, kamen sie richtig ins Schwärmen. Die Rezepte sprudelten nur so heraus. Beim Zubereiten des Kartoffelsalats ging es richtig heiß her. Frau Cordes wollte ihn mit Speck, Frau Martens ohne. Frau Lohmann schwor auf Öl, Frau Wichmann hingegen auf Mayonnaise. Klein beigeben wollte keine.

Wer hat gewonnen?

Niemand. Am Ende haben wir einfach zwei Kartoffelsalate gemacht.

Sie sprechen immer von „Damen“?

Das Wort „Seniorinnen“ finde ich furchtbar. Die Damen, die wir auf unserer Reise kennenlernten, waren richtig tolle Frauen. Die hätte ich gerne früher getroffen.

Weshalb hat bei dem Kochbuch nur ein einziger Mann mitgemacht?

Die anderen wollten nicht. Männer dieser Generation sind es offenbar gewohnt, dass die Frau den Haushalt schmeißt. Herr Mölle aus Köthen war eine Ausnahme. Er war übrigens früher Metzger und das hat man auch gemerkt. Bevor wir mit dem Kochen anfangen durften, musste er erst mal die Messer schärfen. Derweilen begann Frau Osterland zu singen.

Messerschärfen und singen, das klingt so gar nicht nach älteren Menschen mit Pflegebedarf.

Ehrlich gesagt habe ich mich auch oft gefragt, warum diese fitten und gut gelaunten Frauen – und der eine Mann – eigentlich im Heim sind. Aber wir kennen ja die familiären Hintergründe nicht. Außerdem täuscht der Eindruck manchmal.

© Umschau Verlag

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Das Kochbuch

Wir haben einfach gekocht. 100 Erinnerungen an Lieblingsrezepte“ ist im Oktober 2015 im Umschau Verlag erschienen und kostet 29,95 Euro. Die erste Auflage des Kochbuches war bereits nach wenigen Wochen vergriffen. Eine zweite Auflage ist in Druck. Finanziell unterstützt wurde das Projekt vom Schweizer Coop Fonds für Nachhaltigkeit. In der Invalidenstraße in Berlin betreiben zwei der Autoren, Manuela Rehn und Jörg Reuter, den Feinkostladen „Vom Einfachen das Gute“.

Die Website zum Buch: http://wir-haben-einfach-gekocht.de

Kochen lässt Schmerzen vergessen

Wie meinen Sie das?

Frau Müller* war in der Küche quicklebendig, wusste jeden Handgriff und war eine unserer patentesten Köchinnen. Sie regierte praktisch den Herd. Als sie die Küche verließ, um auf Toilette zu gehen, war sie plötzlich völlig verwirrt und wusste nicht mehr, wo sie war. Tatsächlich ist Frau Müller höchst dement.

Kochen als Therapie?

Soweit würde ich vielleicht nicht gehen. Aber das Kochen hatte auf alle unsere Damen eine buchstäblich belebende Wirkung. Einige waren von sich selbst überrascht. Eine Frau meinte, sie könnte wegen ihrer starken Arthrose die Möhren nicht schälen. Also tat ich es. Wenig später nahm sie mir das Messer aus der Hand und zeigte mir, wie es richtig geht. Da spielten die schmerzenden Finger plötzlich keine Rolle mehr.

Gemeinsames Kochen steht in den meisten Heimen sicher nicht auf der Tagesordnung.

Leider. Dabei würde sich der Versuch lohnen. Es muss ja nicht jeden Tag gemeinsam gekocht werden. Oft reichen schon kleine Angebote.

Wie zum Beispiel in Köthen?

Genau. Da gibt es eine „Schnippel-Gruppe“. Die trifft sich ein- bis zweimal die Woche, schält Kartoffeln, schneidet Möhren und arbeitet der Heimküche zu. Die Gruppe ist immer voll belegt. In unserem nächsten Kochbuch wollen wir dann mehr solcher Initiativen vorstellen.

 

*Name von der Redaktion geändert.