Bereits zum sechsten Mal vergab am 22. November 2014 die Münchner Augustinum Stiftung den Euward, den Europäischen Kunstpreis für Malerei und Grafik von Künstlern im Kontext geistiger Behinderung. Klaus Mecherlein, der Kurator der Ausstellung, erklärt uns, was der Preis mit Inklusion zu tun hat. Bereits heute sind einige der Künstler durch diesen Preis weltweit bekannt geworden – und das habe nichts mit ihrer Behinderung, sondern mit der Qualität ihrer Kunst zu tun.
Redaktion: Ende November 2014 wurde der Euward vergeben. Diesjährige Gewinnerin ist die 18-Jährige Giulia Zini aus Italien. Warum hat sich die Jury ausgerechnet für sie entschieden? Wirken ihre Arbeiten nicht fast ein bisschen kindlich?
Mecherlein: Wenn Sie ihre Bilder als kindlich empfinden, sehen sie nicht richtig hin. Nur weil Frau Zini eine Behinderung hat und oft Tiere zeichnet, malt sie nicht infantil. Ihre Malweise ist äußerst präzise, kein Strich wird zufällig gesetzt – dabei sind ihre Werke oft bis zu drei Meter hoch. Steht man vor einem ihrer Bilder, ist das tief beeindruckend. Darum hat sie gewonnen.
Warum braucht es dann einen Euward, um die Kunst von Menschen mit geistiger Behinderung zu fördern?
Weil ihre Arbeiten sonst nicht gesehen werden. Mit unserem Kunstpreis geben wir den Künstlern eine Plattform. Wir helfen ihnen dabei, sichtbar zu werden. Galerien und Museen, aber auch Sammler wissen ja oft gar nicht, dass es diese Werke überhaupt gibt.
Zur Person:
Klaus Mecherlein ist Leiter des „atelier hpca“, einer Ateliergemeinschaft für Künstler mit geistiger Behinderung im Heilpädagogischen Centrum Augustinum (HPCA) in München und Autor diverser Publikationen zu Outsider Art bzw. Art brut.
Kunst und Inklusion
In der Welt der Kunst ist das Thema Inklusion also noch nicht angekommen?
In dieser Hinsicht nicht. Allerdings hat Inklusion für mich nichts mit Behinderung zu tun. Inklusion ist eine Lebensweise und eine Frage, wie ich mit meinem Gegenüber umgehe.
Können Sie das genauer erklären?
Bei Inklusion geht es um Gleichwertigkeit und um die Förderung von Fähigkeiten. Egal, welcher Berufsgruppe, Kultur oder sozialen Schicht ich angehöre, egal ob ich eine Behinderung habe oder nicht: Inklusion betrifft jeden. Meiner Meinung nach sollten wir sie daher ganzheitlich verstehen und nicht auf eine spezielle Gruppe beschränken. Der Grad einer Behinderung sollte beim Thema Inklusion kein Maßstab sein.
Ist das auch der Grund, warum im Ausstellungskatalog die Behinderungen der Künstler kaum erwähnt werden?
Ja, das war eine bewusste Entscheidung. Wir hatten hier zwar keine speziellen Vorgaben – und auch die Künstler gehen sehr offen mit ihrer Behinderung um –, doch haben ihre Einschränkungen nichts mit ihrem Werk zu tun. Wieso muss es überhaupt eine Rolle spielen, ob Zini Autistin ist oder nicht?
Besteht bei einer Ausstellung, in der nur Werke von Menschen mit einer geistigen Behinderung gezeigt werden, nicht die Gefahr des Voyeurismus?
Natürlich gibt es immer wieder Besucher, die sich mehr für die Behinderung der Künstler als für ihre Bilder interessieren. Doch das ist eher die Ausnahme. Auch dem Sammler geht es in der Regel nicht darum, ob der Maler, von dem sie ein Bild kaufen, Autist ist oder das Down-Syndrom hat.
Internationaler Erfolg
Sie haben den Preis von Beginn an kuratiert. Gibt es einen Künstler, der sie in all den Jahren besonders beeindruckt hat?
Ja, das ist das Werk von Achim Maaz*. In seinen Arbeiten hat er sich immer wieder selbst porträtiert – und zwar lebensgroß. Auf den Bildern ist er meist eingepackt in eine viel zu weite blaue Jacke, in der er trotz seiner Größe – Maaz war ein ziemlicher großer Mann – regelrecht untergeht. Seine Bilder sind sehr expressiv, trotzdem haben sie etwas Fragiles. Diesen scheinbaren Widerspruch finde ich sehr spannend.
Haben die Künstler denn auch über den „Euward“ hinaus Erfolg?
Auf jeden Fall. Nehmen Sie beispielsweise Josef Hofer, den Gewinner des Jahres 2004. Hofer ist heute weltbekannt. Er stellt in Paris, London und New York aus. Auch Peter Kapeller, der Preisträger von 2010, hat vor kurzem seinen ersten Galerievertrag unterschrieben. Schon heute kann Hofer von seiner Kunst leben und bei Kapeller wird das nicht mehr lange dauern. Davon bin ich überzeugt.
*Achim Maarz ist im Juli 2014 im Alter von 59 Jahren verstorben.
Information: Die Bilder der Teilnehmer, auch die, der drei Preisträger sind noch bis März 2015 im Buchheim Museum in Bernried am Starnberger See ausgestellt.