„Früher hätte ich das nicht ausgehalten“

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Im Interview erklärte uns Professorin Tania Lincoln, wie eine Psychotherapie Menschen mit Schizophrenie hilft, mit ihrer Erkrankung umzugehen. Friedrich Ferreira* hat eine schizophrene Störung und war in psychotherapeutischer Behandlung. Uns erzählt er, wie es dazu kam und inwiefern die Therapie ihm helfen konnte.

Redaktion: Wann haben Sie gemerkt, dass Sie schizophren sind?

Friedrich Ferreira: Dass mit mir etwas nicht stimmt, habe ich schon in meiner Schulzeit gemerkt. Meine erste Psychose hatte ich dann während meines Jurastudiums in Freiburg. Da war ich gerade 24. Die Diagnose „schizoaffektive Störung“ erhielt ich jedoch erst Jahre später. Den Begriff „Schizophrenie“ verwende ich übrigens nicht so gern.

Welche Bezeichnung ziehen Sie vor?

Schizophrene Erkrankung. Die Ausprägungen der Krankheit können sehr unterschiedlich sein. Manche Betroffene sind ihr Leben lang auf Medikamente angewiesen und arbeitsunfähig. Andere aber bekommen die Krankheit in den Griff und haben wieder ein normales Leben. Es gibt sogar Menschen, die haben nur einmal eine psychotische Phase und dann nie wieder.

Was ist damals in Freiburg passiert?

Ich kam gerade aus dem Urlaub zurück. Mein Vater ist Spanier. Wir hatten einen gemeinsamen Urlaub am Mittelmeer verbracht. Zurück in Freiburg wurde ich von Tag zu Tag immer euphorischer. Ich war ständig in Bewegung, schlief fast gar nicht mehr und war extrem kontaktfreudig. So lernte ich auch meine Nachbarn besser kennen. Eines Abends dachte ich, die WG über mir würde eine Party geben.

Was ist eine schizophrene Erkrankung?

Bei einer schizophrenen Erkrankung nimmt der Betroffene zwei unterschiedliche Realitäten wahr: Auf der einen Seite die Welt, so wie sie ist; auf der anderen die „eingebildete“. Die Krankheit verläuft nicht einheitlich – selbst bei ein und demselben Patienten kann sie je nach Zeitpunkt unterschiedlich ablaufen. Experten sprechen daher auch von Schizophrenien oder einer schizophrenen Erkrankung.

Im Schnitt durchlebt einer von hundert Menschen mindestens einmal in seinem Leben eine schizophrene Episode. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Zur Behandlung empfehlen die Praxisleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) eine Kombination aus Psychopharmaka und Psychotherapie.

Zurück in Hamburg gab es immer wieder Rückfälle

Und dann?

Ging ich hoch und klingelte. Zunächst machte keiner auf. Da die Tür aus einfachem Holz war – wir lebten in einer alten Kaserne –, trat ich sie einfach ein. Einer der WG-Bewohner, ein großer, etwas kräftigerer Mann als ich, kam raus, verfrachtete mich in sein Auto und fuhr mich zur Polizei. Dann kam ich in die Klinik und nach zwei Wochen entließ man mich mit der Diagnose „manische Entgleisung“.

Nicht „schizoaffektive Störung“?

Nein. Die Diagnose erhielt ich erst gut zehn Jahre später.

Was ist nach dem Krankenhausaufenthalt passiert?

Ich ging zurück nach Hamburg – wo ich ursprünglich auch herkomme –, um mich zu erholen. Dort wurde ich dann allerdings richtig krank, bekam starke Medikamente und musste in die Klinik.

Wann haben Sie die Psychotherapie begonnen?

Mit 48, also vor gut zwei Jahren.

Wie sind Sie nach all den Jahren dazu gekommen?

Durch einen Kontakt auf der Station 2 im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).

Was ist die Station 2?

Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE. Hier werden Menschen mit Psychosen, manisch-depressiven Erkrankungen und Suchtproblemen behandelt. Dort gab mir meine Bezugsschwester den Tipp und ich dachte mir: „Probieren kann ich’s ja mal“.

Lernen, eine Situation neu zu deuten

Wie kann ich mir eine solche Therapie vorstellen?

Erst einmal musste ich viele Fragebögen ausfüllen. Eines meiner größten Probleme ist das „Beziehungserleben“, das heißt, dass ich Menschen, Dinge, Ereignisse auf mich beziehe – wenn auch nicht alle.

Wie kann eine Psychotherapie da helfen?

Indem ich mir gemeinsam mit meiner Therapeutin die Situationen anschaue, in denen das Beziehungserleben auftritt, und sie mit mir alternative Erklärungsmodelle aufstellt. Anhand der Hypothesen überlegen wir dann, wie wahrscheinlich meine Interpretation ist und ob es noch andere Möglichkeiten gibt, die Situation zu deuten.

Können Sie das konkret machen?

Letztens war ich im Restaurant, wurde nicht gleich bedient und bekam nach einiger Zeit das Gefühl, dass der Kellner mich nicht in dem Lokal haben will. Früher wäre ich frustriert gegangen oder ich hätte mich aufgeregt und beschwert. Heute kann ich solche Situationen aushalten und weiß, dass der Kellner mich vielleicht einfach noch nicht gesehen hat oder im Stress ist.

Seinen Gefühlen nicht mehr ausgeliefert sein

Sie gehen also rationaler mit Situationen um und haben gelernt, Ihre Gefühle zu kontrollieren?

Genau. Durch die Therapie habe ich erfahren, dass ich meinen Emotionen nicht ausgeliefert bin – für mich eine völlig neue Erkenntnis. Vor wenigen Tagen saß ich in der U-Bahn, als sechs Halbwüchsige einstiegen, die nicht unbedingt friedlich aussahen. Sie setzten sich neben mich. Früher hätte ich Angst bekommen und hätte mich in der Situation sehr unwohl gefühlt. Heute kann ich mit meinen Gefühlen umgehen und ruhig sitzen bleiben.

Ein echter Erfolg.

Absolut. Mein Leben ist zwar nach wie vor kompliziert, denn ich nehme immer noch Medikamente und beziehe seit einigen Monaten Grundsicherung, weil mir der Job gekündigt wurde. Trotzdem bin ich heute weitaus stabiler als früher und daran hat die Psychotherapie einen maßgeblichen Anteil.

Gehen Sie noch regelmäßig zu Ihrer Therapeutin?

Nein. Aber wenn ich Probleme habe, weiß ich, dass ich sie jederzeit anrufen kann.

*Der Name und einige biografische Angaben sind von der Redaktion geändert.