Die neue 3D-Technik für interaktive virtuelle Welten ist nicht nur bei Computerspielern ein großes Thema. Sie wird auch bereits in verschiedenen Therapiefeldern eingesetzt, beispielsweise bei traumatisierten Soldaten. Nun soll sie Schlaganfall-Patienten helfen, ihre Beweglichkeit zurückzugewinnen.
Gloria Bou Ferreiro, Mitte 40, kurz geschnittene braune Haare, sitzt vor dem Computer und spielt. Sie fängt Bälle. Langsam schiebt sie ihre Arme erst nach rechts, dann nach links. An ihren Händen trägt sie zwei dunkle, mit Sensoren ausgestattete Manschetten, die ihre Bewegungen messen und an das Spiel übertragen. Fängt sie einen der Bälle, bekommt sie einen Punkt.
Besonders aufregend klingt das nicht. Doch für Ferreiro ist es eine Herausforderung. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes erlitt die Spanierin einen Schlaganfall. Sie war fast vollständig gelähmt, konnte kaum sprechen und musste monatelang in die Reha. Nur Stück für Stück erlangte sie ihre Bewegungsfähigkeit und ihre Sprache zurück. Geholfen hat ihr dabei auch das Computerspiel.
Spielerisch zu Hause trainieren
Das Rehabilitations-Spiel („Stroke Rehabilitation Program“) basiert auf dem Prinzip der Virtuellen Realität (VR) und wurde von einer Gruppe aus Informatikern, Biowissenschaftlern und Psychologen der Universität Pompeu Fabra in Barcelona für die Behandlung von Schlaganfall-Patienten entwickelt. Das Fangen und Werfen der virtuellen Bälle hilft den Patienten, ihre Bewegungsfähigkeit – in diesem Fall die der Arme – zu trainieren.
„Besonders Erfolg versprechend ist die Technologie für Patienten, die ihre Reha abgeschlossen haben und nun alleine zu Hause üben müssen“, sagt Ferreiros Ärztin Susana Rodríguez González vom Vall d’Hebron Krankenhaus in Barcelona. Denn gerade daheim fehle den Betroffenen oft die Motivation, ihr tägliches Bewegungsprogramm durchzuziehen.
Auf den animierenden Effekt von Spielen setzt auch Professor Michael Lawo vom Technologie-Zentrum Informatik und Informationstechnik (TZI) der Universität Bremen. „Wer beim Training Spaß hat“, ist der IT-Experte überzeugt, „bringt auch mehr Motivation für sein Rehabilitationsprogramm auf.“
Die Fortschritte des Patienten beobachten
Als Leiter des von der EU geförderten Projektes Rehab@Home arbeitet Lawo nun daran, die VR-Spiele mit dem Prinzip des Telemonitorings zu verbinden. Das heißt, er baut ein System, mit dem die behandelnden Ärzte die Rehabilitation ihrer Patienten von ihrer Praxis aus begleiten können. Hierfür hat Lawo zusammen mit italienischen und österreichischen Kollegen eine Software entwickelt, die die Computerspiele über das Internet mit der behandelnden Klinik oder Praxis verbindet. „Auf diese Weise können die Ärzte die Fortschritte des Patienten beobachten, den Trainingsplan entsprechend anpassen und helfen, wenn etwas nicht klappt“, erklärt der Projektleiter.
Marco Stramba-Badiale, Ärztlicher Direktor und Leiter der Abteilung für Kardiovaskuläre Medizin und Geriatrie am Istituto Auxologico Italiano in Mailand, geht indessen noch einen Schritt weiter. Zur Behandlung neurologischer Störungen schickt er seine Patienten in sogenannte „Cave Automatic Virtual Environments“ (CAVE).
Die CAVE-Stationen sind drei mal drei Meter groß und an Decke, Wänden und Boden mit Projektionsflächen und Bewegungssensoren ausgestattet. Betritt der Patient den Raum, gaukelt das CAVE-Programm ihm vor, er würde gerade im Supermarkt einkaufen gehen, über die Straße zum Zeitungskiosk laufen oder zu Hause am Tisch sitzen und Kaffee trinken.
Virtuelle Räume zum Trainieren von Alltagssituationen
Schlaganfall-Patienten will Stramba-Badiale auf diese Weise in das virtuelle Abbild ihrer Wohnung versetzen und sie dort mit ganz normalen Alltagssituationen konfrontieren. So können die behandelnden Ärzte sehen, in welchen Situationen Probleme auftreten und diese gezielt trainieren. Das Istituto Auxologico Italiano ist bislang weltweit die einzige Klinik, die das CAVE-Programm zur Behandlung von Patienten einsetzt.
Wie nachhaltig die VR-Therapie bei Schlaganfall-Patienten wirkt, soll nun in verschiedenen Studien geprüft werden. Die American Heart Association (AHA) und American Stroke Association (ASA) sind indessen schon einen Schritt weiter und geben in ihren Richtlinien zur „Rehabilitation für Schlaganfall-Patienten“ erstmals auch Empfehlungen zur Anwendung von VR-Therapien.