„Eine Hommage an die Pflege“

„Eine Hommage an die Pflege“

© Thorsten Strasas

Esma Özdemir ist 24, arbeitet seit gut einem Jahr als Gesundheits- und Krankenpflegerin und ist Care-Slammerin. Bei der „Sorgenschlacht“ treten Pflegekräfte auf und erzählen – mal witzig, mal ernst, aber stets fachlich versiert – aus ihrem Alltag. Im Gespräch berichtet Özdemir, wie sie zum Care Slam kam und was die Pflege für sie persönlich bedeutet.

Redaktion: Was hat Sie auf die Bühne getrieben?

Esma Özdemir: Eine Bekannte vom Care Camp Köln, einer Social Networking-Veranstaltung für Pflegende, hat mich dazu überredet. Sie meinte, so wie ich über Pflege rede, müsse ich beim Care Slam (mehr in: „Slammen für eine bessere Pflege“) unbedingt mitmachen. Als ich dann das Mikro in der Hand hielt, die Scheinwerfer auf mich gerichtet waren, hatte ich allerdings ziemliches Muffensausen. Ich wollte mich schon immer auch außerhalb meines Berufsalltags für die Pflege engagieren – auf die Bühne zu gehen, hatte ich jedoch nie vor.

Was ist ein Poetry oder Science Slam?

Die sogenannte „Dichterschlacht“ ist ein literarischer Wettbewerb, bei dem die Teilnehmer selbst geschriebene Texte innerhalb einer bestimmten Zeit – meist nicht mehr als fünf Minuten – vortragen. Wer gewinnt, entscheidet am Ende das Publikum, manchmal auch eine Jury. Entscheidend ist dabei nicht nur die Qualität des Textes, sondern auch die Art, wie er vorgetragen und auf der Bühne inszeniert wurde. Der erste Poetry Slam fand 1986 in Chicago statt.

Das Format setzt sich durch, auch in anderen Disziplinen. So gibt es seit einigen Jahren beispielsweise den Science Slam, bei dem junge Wissenschaftler ihre Forschungsthemen auf die Bühne bringen. Der Hate Slam wiederum versteht sich als Leseshow gegen Rassismus, Sexismus und Ausgrenzung im Allgemeinen. Hier lesen Journalisten Leserbriefe oder Blog-Einträge vor, die sie erhalten haben.

Warum haben Sie es trotzdem getan?

Um der Pflege eine Stimme zu geben. Darüber, was in dem Beruf alles schiefläuft, wird in der Öffentlichkeit ja viel geredet. Mit uns Pflegenden spricht hingegen kaum jemand. Für mich persönlich war der Care Slam außerdem die Gelegenheit, mein erstes Berufsjahr als examinierte Krankenpflegerin noch mal Revue passieren zu lassen und mich damit auseinanderzusetzen, ob der Beruf wirklich der richtige für mich ist.

Haben Sie daran gezweifelt?

Während der Ausbildung hatte ich immer jemanden an meiner Seite, den ich fragen konnte, wenn ich etwas nicht wusste. „Ist das richtig so mit dem Katheter?“, „Muss ich den Verband vor oder nach dem Waschen wechseln?“ Im Vergleich zu dem, was ich heute machen muss, waren das tatsächlich eher banale Fragen.

Die Nähe zu den Menschen wiegt die Missstände auf

Was sind denn Ihre Aufgaben als ausgebildete Fachkraft?

Heute muss ich nicht nur lebenswichtige Parameter wie Blutdruck, Blutzucker oder die Herzfrequenz überwachen. Ich verabreiche Medikamente, gebe Infusionen und muss einschätzen, ob die Maßnahmen auch tatsächlich wirken: Was hat sich verbessert, was verschlechtert? Diese neue, oft folgenreiche Verantwortung hat mir anfangs ziemlich Angst gemacht. Dazu kommen der ständige Zeitdruck, das Fehlen erfahrener Unterstützung und die unregelmäßigen Arbeitszeiten. All das macht es mir manchmal schwer, die Pflege zu lieben.

Ihr Text beim Care Slam war überschrieben mit „Hommage an die Pflege“. Die Antwort, ob Sie weitermachen wollen, ist also ein klares Ja.

Letztendlich war die Nähe zu den Menschen der Grund, weshalb ich den Beruf gewählt habe. Diese Nähe wiegt für mich schwerer als die Missstände. Das hat für mich etwas sehr Bereicherndes.

Haben Sie ein Beispiel?

Ich arbeite in der sogenannten „Stroke Unit“, das ist die Spezialstation für Schlaganfallpatienten. Die Krankheitssymptome sind bei den Patienten sehr unterschiedlich. Viele können ihre linke oder rechte Körperhälfte nicht mehr bewegen. Manche haben ihre Sprachfähigkeit eingebüßt, können ihre Mimik nicht mehr kontrollieren oder sind kaum noch ansprechbar. Welche Ausfälle ein Patient genau hat, hängt davon ab, welche Teile des Gehirns von dem Schlaganfall betroffen sind. Wenn ich einen Menschen dann eine Woche lang jeden Tag pflege und wasche, mich auf ihn einlasse und die richtigen Impulse setze, kann er es jedoch schaffen, seinen Arm teilweise wieder zu spüren, ihn vielleicht sogar wieder bewegen zu können. Manchmal lächelt ein Patient sogar wieder, so schwer ihm das unter den Umständen auch fallen mag.

Den Arm wieder spüren

Was meinen Sie mit „die richtigen Impulse setzen“?

Bleiben wir beim Beispiel Körperpflege. Spürt mein Patient seinen rechten Arm nicht mehr, fange ich beim Waschen in der Regel mit dem gesunden linken an. Wenn dann die kranke Seite an der Reihe ist, wasche ich ihn mit denselben Bewegungen und erkläre nebenbei, an welcher Stelle ich gerade bin. So kann das Gehirn Stück für Stück lernen, den Arm wieder zu spüren. Diese Herangehensweise ist an das Bobath-Konzept angelehnt. Ein solch therapeutisch begründeter Reiz kann aber auch ein Wechsel von warmem zu kühlerem Wasser sein.

Mit kleinen Mitteln lässt sich also viel erreichen.

Absolut. Es beginnt schon bei der Wahrung der Intimsphäre. Denn was für manche meiner Patienten ein natürlicher Umgang mit dem Körper ist, stellt für andere eine äußerst beschämende Situation dar. Wichtig ist, dass ich mich auf mein Gegenüber, den Patienten, einlasse und erkenne, was das Richtige für ihn ist. Diese professionelle und doch besondere Nähe zu Menschen erlebe ich nur im Beruf der Pflegerin und genau das wollte ich mit meiner „Hommage an die Pflege“ vermitteln.