„Von meiner Depression hatte ich mir mehr erwartet“

Tobi Katze / © Christiane Reinert

Tobi Katze / © Christiane Reinert

Tobi Katze* ist Blogger, Poetry-Slammer, Autor – und depressiv. Über sein Leben mit der Krankheit hat er einen Spiegel-Bestseller geschrieben: „Morgen ist leider auch noch ein Tag“.

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie depressiv sind?

Mir nicht, mein Therapeut hat es diagnostiziert. Stück für Stück begriff ich dann selbst, was eine Depression tatsächlich bedeutet.

Wie lebten Sie vorher?

Mein Leben fühlte sich immer schlechter an und ich wusste nicht warum. Eines Morgens wachte ich auf und brach in Tränen aus. Da wurde mir klar: So kann es nicht weitergehen. Es war eine riesige Leere, die alles in mir auffraß. Irgendwann bekam ich Angst, dass dieses Gefühl einfach nicht mehr weggeht.

Dann suchten Sie sich einen Therapeuten?

Ja. In der Therapie lernte ich, mich selbst aus der Distanz zu betrachten und mein Verhalten zu reflektieren. Das geschah allerdings nicht von heute auf morgen. Tatsächlich fiel es mir anfangs unheimlich schwer, über meine Gefühle zu sprechen.

Aus Scham?

Nein. Aber da saß ja ein Wildfremder vor mir. Auch seinen Therapeuten muss man erst mal kennenlernen. Außerdem ist eine Therapie kein Wundermittel.

Das Buch ist nicht so persönlich, wie viele Leser meinen

Wie meinen Sie das?

Ich begriff, dass es an mir liegt, ob die Therapie Erfolg hat oder nicht. Mein Therapeut kann mich zwar begleiten, doch ich muss die Arbeit machen und mein Leben ändern. Ist man depressiv, fällt das ungemein schwer. Gegen die Lethargie bekam ich dann Medikamente.

Antidepressiva?

Genau. Die nehme ich bis heute. Sie geben meiner Psyche die notwendige Stabilität. Eigentlich wollten wir sie schon absetzen, aber dann kam ich in eine ziemlich stressige Phase. Und jetzt ist Winter. Der Plan ist, sie noch bis zum Sommer zu nehmen.

Was half Ihnen noch gegen die Depression?

Das Reden mit Freunden. Und das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Erst durch die Reaktionen auf mein Buch begriff ich, dass ich mit meinen Depressionen nicht alleine bin.

Die Resonanz war positiv?

Sie war überwältigend. Die vielen Kommentare und Zuschriften, die nach der Veröffentlichung kamen, konnte ich gar nicht zählen, geschweige denn alle beantworten.

Fiel es Ihnen schwer, so viel Privates von sich preiszugeben?

Tatsächlich ist das Buch keine reine Autobiografie, sondern ein fiktiver Erlebnisbericht. Klar gibt es einen autobiografischen Kern, aber viele der Geschichten sind nicht so persönlich, wie mancher Leser meint.

Half Ihnen das Schreiben, die Krankheit zu verarbeiten?

Es zwang mich, Dinge und Erkenntnisse zu verbalisieren. Und aus dem Diffusen etwas Konkretes zu machen. Das Schreiben war in gewisser Hinsicht eine zusätzliche Runde der Reflexion.

Tobi Katze: Morgen ist leider auch noch ein Tag

Buchcover

 

 

 

 

„Morgen ist leider auch noch ein Tag“ von Tobi Katze ist als Taschenbuch im Rowohlt Verlag erschienen und kostet 9,99 Euro.

Nachgeben und im Bett bleiben

Wissen Sie, was die Ursache Ihrer Depression war?

Nein. Ich habe früher eine Menge Abende in Bars verbracht und viel Alkohol getrunken. Das hat sicherlich zur Entwicklung der Depressionen beigetragen, sie vielleicht sogar ausgelöst. Die Ursache war das Trinken allerdings nicht. Der Grund – wenn es ihn denn gibt – ist mir ehrlich gesagt auch egal. Ich habe die Krankheit akzeptiert.

Wie sieht das aus?

Nachgeben und im Bett bleiben.

Ernsthaft?

Ja. Habe ich eine depressive Phase, bringt es nichts, mir zu sagen: „Du musst jetzt arbeiten“ oder „Du musst jetzt kreativ sein“. Bleibe ich stattdessen einfach liegen, geht es mir meistens nach ein bis zwei Tagen wieder besser. Mit 40 Grad Fieber gehen Sie ja auch nicht ins Büro.

Werden Depressionen nach wie vor unterschätzt und als Krankheit zu wenig ernstgenommen?

Ich finde schon. Deswegen habe ich auch das Buch geschrieben. Während meiner Krankheit hörte ich immer wieder Sprüche wie „Stell’ dich nicht so an“ oder „Ich bin auch manchmal traurig.“ Bei Depressionen gibt es noch reichlich Aufklärungsbedarf.

In Ihrem Buch schreiben Sie, Sie hätten sich von der Depression mehr erwartet. Das müssen Sie noch erklären!

Der Satz ist eine Kampfansage. Er soll anderen Betroffenen Mut machen und ihnen zeigen, dass sie stärker sind als die Krankheit. Mit Depressionen lässt sich zurechtkommen.

*Tobi Katze ist ein Pseudonym.


Weitere Informationen zur Krankheit

Bin ich depressiv?

Fühlt sich ein Mensch über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen niedergeschlagen, ist er hoffnungs- und antriebslos, kann das auf eine Depression hindeuten. Hinzukommen oft Symptome wie Konzentrationsmangel, vermindertes Selbstwertgefühl und Schlafstörungen. Viele Betroffenen leiden auch unter körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Verdauungsprobleme. Depressive Erkrankungen können in jedem Lebensalter auftreten. Die Beschwerden sollten die Betroffenen einen Arzt oder Psychotherapeuten aufsuchen.

Welche Therapieformen gibt es?

Menschen mit einer leichten depressiven Erkrankung können oft auch ohne spezielle Therapie gesund werden. Damit sich die Depression nicht verschlimmert, sollten sich die Betroffenen dabei allerdings von einem Arzt oder Psychotherapeuten begleiten lassen. Mittelschwere bis schwere Depressionen werden in der Regel mit einer Kombination aus Antidepressiva und Psychotherapie behandelt. Bei schweren und chronischen Depressionen kann auch eine stationäre Behandlung im Krankenhaus notwendig sein. Fachkundige Ratschläge rund um Depressionen finden Sie beispielsweise bei „psychenet – Hamburger Netz psychische Gesundheit“.

Wo finde ich einen Therapeuten?

Adressen von Psychotherapeuten erhalten Betroffene bei ihrer Krankenkasse oder der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung. Auch Informationsportale zu Depressionen im Internet vermitteln oft Anschriften und Telefonnummern registrierter Psychotherapeuten in ganz Deutschland. In der Regel arbeiten auch Hausärzte mit Psychotherapeuten zusammen und können ihren Patienten Therapeuten empfehlen.

Bei Anruf: Rat

  • Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet mit dem Info-Telefon Depression Rat für Betroffene und Angehörige und weist den Weg zu Anlaufstellen im Versorgungssystem: 0800 33 44 533 (Mo, Di, Do: 13.00-17.00 Uhr; Mi, Fr: 8.30-12.30 Uhr).
  • In akuten Krisen hilft die Telefonseelsorge der beiden christlichen Kirchen in Deutschland: 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222. Sollte diese gerade nicht erreichbar sein, helfen auch Notärzte unter 112.